AfD-Gelbwesten provozieren AKK bei Besuch in Hanstedt
Beim Neujahrsempfang des CDU-Ortsverbandes beweist die neue Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer Courage. Hanstedt. Die Freie und Hansestadt im Norden des Landkreises Harburg spielte für Annegret Kramp-Karrenbauer am Donnerstagabend erst mal nur die zweite Geige. Bevor die neue CDUVorsitzende auf dem Blankeneser Süllberg beim Neujahrsempfang des Magazins „Klönschnack“ mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher, Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (beide SPD) und Grünen-Chef Robert Habeck nette Gemeinheiten austauschte, nahm AKK erst einmal ein wohliges Bad in der Menge Gleichgesinnter – beim traditionellen Grünkohlessen des CDU-Ortsverbands Hanstedt.
Der Empfang vor dem Ringhotel Sellhorn dürfte ihr unterdessen weniger geschmeckt haben. Während im Foyer bereits prominente Parteifreunde wie Michael Grosse-Brömer, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Landrat Rainer Rempe und der Landtagsabgeordnete André Bock ungeduldig von einem Bein aufs andere traten, machte Kramp-Karrenbauer draußen eine überraschende Erfahrung: Mit renitenten Gelbwesten sieht sich nicht nur Präsident Emmanuel Macron in der Grande Nation konfrontiert, sondern plötzlich auch die christdemokratische Hoffnungsträgerin in der vermeintlich so beschaulichen Heide.
In den „Gilets jaunes“, den neonfarbenen Warnwesten, steckten in der norddeutschen Provinz unterdessen keine französischen Protestler, sondern durchweg Anhänger der AfD. Organisiert hatte sich die Gruppe von knapp 20 Personen über das soziale Netzwerk Facebook, wie Necdet Savural, Vorsitzender des CDU-Ortsverbands Hanstedt, zu berichten wusste. Um AKK einen Empfang „der etwas anderen Art“ zu bereiten. „Sie traten provozierend, teilweise auch sehr respektlos auf“, gibt Savural zu Protokoll. Eigentlich wollte er seinen Stargast schnell durch einen Nebeneingang ins Sellhorn geleiten. Doch gut bewacht durch drei Bodyguards stellte sich AKK dem AfD-Auflauf. „Sie bewies kühlen Kopf und viel Courage, das hat mich sehr beeindruckt“, so Savural.
Kramp-Karrenbauer war für den 64 Jahre alten Deutsch-Türken aber schon zuvor der „Jackpot“. Noch nicht mal ein Jahr im Amt als Ortsverbandsvorsitzender gelang ihm bereits der größte Coup in der gut 40-jährigen Geschichte des Neujahrsempfangs der Hanstedter Christdemokraten. „So prominent war der Stargast unseres Grünkohlessens meines Wissens noch nie, darauf sind wir alle unglaublich stolz“, so Savural. Monatelang hatte er sich um den Besuch der Politaufsteigerin bemüht. Bereits Anfang 2018 hatte er Kontakt zu ihrem Büro aufgenommen, da war sie gerade CDU-Generalsekretärin geworden. Bei einer Tagung von 63 Ortsverbandsvorsitzenden im Juni 2018 im Berliner Konrad-Adenauer- Haus nutzte der Handelsunternehmer die Gelegenheit, Kramp-Karrenbauer persönlich anzusprechen. „Mit einer gezielten Wortmeldung, die dann in eine überaus charmante Einladung mündete“, wie sich AKK erinnerte: „Da konnte ich ja gar nicht mehr nein sagen.“ Die endgültige Zusage erfolgte schließlich am 12. Dezember. Fünf Tage, nachdem sie in Hamburg in einer Kampfabstimmung gegen Friedrich Merz mit 51,8 Prozent der Stimmen als achfolgerin von Kanzlerin Angela Merkel zur neuen Vorsitzenden der CDU gewählt worden war. Und zwei Tage nach Savurals 66. Geburtstag.
„Das war wie ein verspätetes Geschenk für mich“, sagt der Kreistagsabgeordnete, der 1970 als Gastarbeiter nach Ramstein gekommen war, wo er später seine Frau Ursula kennenlernte. „Als Pfälzerin stammt sie ja aus der Region, in der auch Annegret Kramp-Karrenbauer aufgewachsen ist. Vielleicht hege ich deshalb so große Sympathien für AKK“, verriet Savural. Die 56 Jahre alte Saarländerin sei für ihn eine bodenständige, nahbare Politikerin, die sich der Basis sehr verbunden und dem Slogan der Partei „Zusammenführen. Und zusammen führen“ verpflichtet fühle und ihn mit jeder Pore lebe. Sie sei eine Brückenbauerin nicht nur innerhalb der CDU, sondern weit darüber hinaus. Das habe sie gerade wieder vor dem Sellhorn bewiesen. Als selbst eine AfD-Gelbweste ziemlich perplex festgestellt habe: „Dieser Punkt geht aber an Kramp-Karrenbauer!“ Nach so vielen Vorschusslorbeeren enttäuschte AKK ihren Gastgeber auch später im großen Tagungsraum des Hanstedter Ringhotels nicht. 45 Minuten lang sprach sie vor den mehr als 200 Zuhörern ohne Manuskript so engagiert und kämpferisch wie Anfang Dezember bei ihrer finalen Wahlkampfrede auf dem CDU-Parteitag in Hamburg.
Sie sagte, dass die Vorsitzende „der letzten großen Volkspartei“ mit 420.000 Mitgliedern nicht erfolgreich arbeiten könne, wenn es nicht so viele engagierte Ortsverbände gebe wie in Hanstedt.
Dass es trotz aller weltpolitischen Probleme, etwa den „schwierigen Gesprächen mit den aktuellen US-Partnern“, dem Krieg in Syrien, den Unruhen in Frankreich, den gegensätzlichen Tendenzen in der Europäischen Union und den dornenreichen Brexit-Verhandlungen allen Grund gebe, mit Optimismus, Zuversicht und Mut ins neue Jahr zu gehen. Sie wünschte sich, dass das Jahr „etwas weniger irrsinnig“ verlaufen möge, als das vorige. Nach 18 Jahren sei mit dem Rücktritt von Angela Merkel als Parteichefin zwar „eine Ära zu Ende gegangen“. Die Partei sei aber keineswegs gespalten. Auch nicht nach ihrer Wahl zur neuen Vorsitzenden. Weil der unterlegene Friedrich Merz seine Kompetenzen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik trotzdem einbringen und es deshalb ein „starkes Gesamtpaket AKK-Merz“ geben werde.
Ja, im Sommer habe man durch den Dauerstreit mit der Schwesterpartei CSU in den Abgrund geschaut, die Gefahr der Spaltung sei groß gewesen. „Es war ein heilsamer Schock. Am Ende haben sich aber alle daran erinnert, dass wir eine große Familie sind. Und dass man zusammenhalten muss, wenn die Nachbarskinder auflaufen“, sagte Kramp-Karrenbauer. Im Übrigen sei sie ja Sternbild Löwe. Und könne mit den bayerischen Löwen deshalb ganz gut umgehen.
Für den deftigen Grünkohl mit Grützwurst und Bauchspeck hat die Zeit dann zwar nicht mehr gereicht, weil der nächste Termin in Hamburg drängte. Das konnte Annegret Kramp-Karrenbauer an diesem Abend in Hanstedt aber ganz gut verschmerzen. Wann gibt es sonst sogar mal Punkte von der AfD-Basis für eine CDU-Vorsitzende.
Lutz Kastendieck
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